DIE HAND IN DER KUNST

Meine Hand ist mein Vater, meine Mutter und mein Werkzeug, ein Sinnesorgan und ein Medium.Sie ist ruhig und rastlos, ungestüm und feinfühlig zugleich. Sie ist rau und rissig, voller Pigmente,und sie weiß,wie meine Farben angerührt werden müssen. Sie streicht sacht über einen schönen Stoff oder eine polierte Oberfläche. Mit meiner Hand halte ich die Zigarette und das Weinglas oder stelle Blumen ins Wasser. In ihr liegt die Möglichkeit, den Alltag zu meistern, genauso wie die Macht, meine Kinder zu beschützen.

Doch vor allem ist meine Hand das Instrument, das mich zur Malerin macht. Aus der Kraft des Handgelenks entstehen meine Bilder; der Pinsel ist die Verlängerung des Arms, und die Hand stellt die Verbindung her. Nur sie vermag die Brücke von der ersten Eingebung zum Werk zu schlagen. Ich kann keinen anderen Menschen meine Ideen ausführen lassen. Ich bin meiner Hand ausgeliefert und habe gelernt, ihr zu Vertrauen.

Ich lackiere mir nicht die Fingernägel,und ich trage niemals Ringe. Meine Hand muss nicht schön sein; man muss an ihr ablesen können, woraus mein Leben besteht-nämlich vor allem aus“Handarbeit“. Meine Hände sind groß, breit und kräftig, und mein rechter Zeigefinger sieht aus wie der meines Vaters. Es sind Hände, die erzählen, dass ich immer mit zugefasst habe. Ich komme aus einer Familie, die körperlich gearbeitet hat; meine Vorfahren waren Händler, Bauern, Maurer. Und ich habe früh gelernt, dass es der Hände Arbeit ist, die etwas wachsen und gedeihen lässt. Bis heute baue ich deshalb selbst die Rahmen für meine Bilder, denn ich möchte den Entstehungsprozess des Gesamtwerks in meiner Hand behalten. In der Malerei finde ich das besondere Glück, dass keine anderen Faktoren-wie etwa schlechtes Wetter-die schöpferische Kraft mindern, dass das Ergebnis ganz allein vom Urheber abhängt und bestimmt werden kann.

Die Frauen auf meinen Bildern haben Hände, die anatomisch eigentlich nicht korrekt sind; kraftvoll und stark, so wie meine Hände sehen sie aus, und sie sind immer zu groß gemalt. Sie sind mir wichtiger als das Gesicht, das ich oft abstrahiere oder zu Maske stilisiere. Die Hände sagen alles über die abgebildete Person. Vor etwa zwanzig Jahren erfand ich die Frauenfigur, die sich analog zu meinem Leben verändert. Damals zeigten ihre Hände zu beiden Seiten des Körpers nach unten. Ruhig, aber nicht passiv, denn in dieser Geste lag eine Spannung. Zusammen mit den Armen bilden die Hände dynamische, kompositorische Linien auf der Leinwand. Die Bilder dieser Zeit erzählen von einer Frau, die mit Weinglas und Zigarette in ihre Hand signalisiert, dass sie allein an einer Bar stehen können will-eine Metapher für die Suche nach ihrem Freiraum in der Gesellschaft.

Heute male ich die Hände expressiver und weicher und lasse sie in pantomimischen Figuren erzählen. Sind dem Gegenüber beide Handaußenflächen zugewandt,signalisieren sie Abstand-die Geste der Mutter, die die zwei Kinder auf ihrem Schoß schützen will. Eine offene Handfläche und eine nach hinten gedrehte Hand bedeuten hingegen, dass die Frau ihr Leben zwischen zwei Polen, zum Beispiel zwischen Kind und Karriere, eingerichtet hat und damit lebt, dass eindeutige Entscheidungen mit den Jahren nicht leichter werden. Das kommt in der ambivalenten, abwartenden Haltung zum Ausdruck. Halb lockt sie zu sich hin, halb weist sie zurück. Sie bemüht sich um Offenheit, aber es reicht nur zur halbherzigen Hinwendung.

Hände lügen nicht. Man kann ein Gesicht liften, aber die Hand verrät das Alter und die Geschichte, den Beruf, den Lebenswandel und den Grad der Eitelkeit. Man kann ein Lächeln aufsetzen, das nicht ehrlich gemeint ist, doch die Gesten der Hand lassen sich nicht einstudieren. Sie kommen von innen....und wegen dieser unbedingten Ehrlichkeit kann ich nicht anders, als meine Hand zu lieben.

Elvira Bach/Thomas