Die Pinsel

Neue Pinsel kaufen - das ist, vom Malen einmal abgesehen, das Schönste für mich! Die verschiedenen Formen und Abmessungen -flache, runde, dicke, breite, kurze und kleine -ihre unterschiedlichen Stiele und unterschiedlich farbigen Haare, Fasern und Borsten – Am liebsten würde ich sie alle auf einmal kaufen!

Später in meinem Atelier stelle ich die neuen Pinsel In einen hellblauen Topf mit weißen Punkten -da müssen sie erst mal miteinander auskommen! Es kann schon mal zu Rivalitäten unter ihnen kommen: Wenn der dunkelrot lackierte Marder- Haarpinsel mit Goldprägestempel für feine Aqua- rellarbeiten etwas verächtlich auf seinen dicken, robusten Nachbarn aus Schweinsborsten herab sieht, der wuchtige Heizkörperpinsel sich über flache Verstreichpinsel lustig zu machen scheint -dann greife ich ein und ZACK! Bekommt jeder sofort eine Aufgabe – schließlich sind es Zauber- lehrlinge und erst später, als Zaubermeister malen sie meine Bilder wie von allein....Meine Pinsel sind gute Geister, Schutzengel, stumme Begleiter und hin und wieder Quälgeister – und was für welche! Manchmal rufen Sie mir zu: „Heute haben wir gar keine Lust, wir wollen auch mal einen freien Tag haben...“
Schnell sage ich dann:“Kommt nicht in Frage, kommt mir ja nicht so Freunde!“
Gerade heute müsst ihr euch besonders anstrengen - schließlich soll noch ein Bild entstehen – da könnt ihr mich nicht im Stich lassen!“ – Ja ich muss ihnen dann gut zureden! Richtig schlimm aber wird es, wenn sie sich beschweren, dass sie wieder einmal nicht ausgewaschen wurden - und über Nacht im Rosa, Ochsenfroschgrün und im Mauve stehen mussten; die ganze lange Nacht bis zum Hals in dicker Farbe, die obersten Borsten schon verklebt – nein, das mögen sie gar nicht, da werden sie wirklich wütend, sind wider- borstig, eigensinnig und sperrig – und ich muss mich verdammt anstrengen, sie wieder in Form zu bringen und bei Laune zu halten! Der König unter den Pinseln ist zweifelsfrei der große aus Pferdehaaren gefertigte japanische Tuschepinsel, dessen Gewicht mit einem Stiel zu verstellen ist: Schließlich muss genau der Punkt herausgefun- den werden, wo der Pinsel leicht in der Hand liegt und sein kaum mehr zu spüren ist; erst dann ist es möglich, das Weiß mit schnellem Pinsel zu überfliegen.

Ob sich das Bild mit Schriftzeichen, mit „Bambus- blättern im Herbst“ oder einer gewaltigen Farborgie füllt, das ist einerlei: Der König der Pinsel tut seine Arbeit. Als einziger Pinsel hat er ein eigenes Behältnis, eine mit grünem Satin ausgeschlagene Pappschachtel, die von außen mit glitzerndem Papier beklebt wurde. Manchmal frage ich mich, was die Pinsel treiben, wenn ich die Ateliertür hinter mir schließe, kehre ich am nächsten Morgen zurück und beginne meine Arbeit, sieht alles so aus wie am Abend zuvor. Die Pinsel stehen schweigend bereit.
Meine treuen Gefährten, was wäre ich ohne euch?

Elvira Bach /Thomas Hornemann