Allein im Liebesraum Eckart Britsch 2003
Das Urbild beim Personal von Elvira Bach ist die Variation der aristokratischen "Evastochter". Als eine Art "Königin auf Zeit" beherrscht diese Figur auf Gedeih und Verderb die Gegenphantasien im Land der männlichen Dämonen. Ihre radikale Gegenwärtigkeit wurde von Arthur Rimbaud in Afrika beschrieben, deren kühnes Aussehen fast immer mit der beliebtesten Farbe aller Frauen "Rot" intensiviert wird. Alexander Theroux hat in seiner Anleitung, eine Farbe zu lesen, den universalen Wirkungskreis gezeigt, den "Rot" in der Menschheitsgeschichte hat. Nicht nur in der künstlerischen Bearbeitung ist das Farbenspiel "Rot" die kühnste, dramatischste und frechste aller Farben. Es soll sogar ein rotes Lachen geben.
Als eine Leitfarbe strömt "Rot" bei Elvira Bach durch fast alle Bilder in unterschiedlichster Abstufung oder Nuancierung und hilft, ein erotisches Gemisch zwischen Wildheit und Form zu präsentieren, welches unverwechselbar zum Markenzeichen ihrer Malerei wurde. Gegen eine lustvolle Aneignung eines Opferstatus weiblicher Figuren spielt sie mit der Geschlechterspannung und ihrem Antragscharakter. In der menschlichen Architektur ist "Rot" unzweifelhaft auch die Farbe mit den größten Ambivalenzen, deren Stichworte lauten: Mitleid und Martyrium, Himmel und Hölle, Liebe und Tod. Eine Farbe, die in hohem Maß zugleich zerstörerisch und schöpferisch sein kann, und deren animalische Power die Milde und Mäßigung geradezu herausfordert. Auf alle Fälle besitzt "Rot" heute umso mehr Wert auf einem Bild, je versteckter, reduzierter und gezielter es auf ihm auftritt.
Souverän gestaltet auch Elvira Bach "Rot" auf ihren neuen Bildern, indem sie es reduziert und es fast an den Rand des Verschwindens bringt. Mit einer entwaffnenden Ökonomie der Schlichtheit enthüllt sie dabei ihre Figuren, die dann den Bildraum wie blitzartig erobern. Es scheint so, als ob sich im Augenblick des Malens eine lange Vergangenheit für immer summiert hat. Diese Figuren haben ein für alle Mal darauf verzichtet, sich freiwillig ein X für ein U vormachen zu lassen. Im selben Augenblick lassen sie eine verlorene Üppigkeit wie eine schöne Tautologie aus Nostalgie und Verzweiflung anklingen, die zur Durchbrechung patriarchaler Rollenphantasien als Bündnispartner eingesetzt werden: Schneeglöckchen, Luftballone, Amarillis, Red Rouge - das gezackte Sternenloch, in das es nicht zurückzufallen gilt. Niemals würden sich diese weiblichen Körperpartien wie die Mädchen in Freudenhäusern zur Auswahl anbieten, weil sie in ihren jeweiligen Wellenlängen selbst die Macht über Leben und Tod symbolisieren. Charakterisiert sind sie durch eine gute Kenntnis ihres Terrains, die jedenfalls gesünder erscheint als eine pure Energie, über die man jederzeit die Kontrolle verlieren kann. Gleichwohl verbietet es das Geheimnis der ihnen innewohnende Poesie, zur sehr nach symbolischen Deutungen zu suchen.
Wenn die entscheidenden Fragen des Lebens auftauchen, dann weiß oftmals allein der Humor eine Antwort. Der Schalk produziert dann die Lust am Zusehen und macht die Gegensätze überhaupt erzähl- und balancierbar. So wirken die neuen Bilder auch wie Bausteine oder Bruchstücke oder Versuchsanordnungen einer Wahrnehmung der Ironie. Jedoch keiner Ironie von Klage und Jammer, die einer romantischen Verzweiflung entspringt. Vielmehr einer Ironie, die sich genauestens auskennt und die weiß, dass es in aller Regel das Nichts ist, welches die Männer immer wieder frontal anspringt und sie, um es auf den Punkt zu bringen, zur Erektion bringt. Ein kleiner, nackter Zeh, das Gelocke ihres Flatterhaares, der gespannte Saum eines Kleides, die zufällige Wellenbewegung der Schenkel oder das Signalleuchten stolz getragener Ohrringe bestimmen oftmals mehr über das Schicksal im Leben als jede rationale Vernunft. Auch ist der Kampf um eine spannungsgeladene, tragfähige Symbolik der Geschlechterspannung auf den Bildern ohne das Ausleuchten aller Ambivalenzen nicht zu haben: zwischen Nuckelflasche und Champagner, Eis am Stiel und Zigarette bis hin zu den Stöckelschuhen als Kirchturmersatz im Himmel.
Elvira Bach geht es niemals nur darum, ihren Standpunkt einem anderen entgegenzustellen, weil die Wahl, die wir sind, immer auch getragen wird von der Nicht-Wahl, die wir sind im Sinne eines kaum entrinnbaren Schicksals. Vielmehr sucht sie gegen die Bilderfluten in den Medien mit Vermüllung und Vernuttung eine spielerische Bestätigung des Unsichtbaren. Es geht um das Lebensrätsel, das menschlich Wesentliche zu finden, was schon fast an Blasphemie grenzt: etwas Malen, was wirklich für dich selbst das Gefühl trägt. So setzt sie gegen die industrielle Verführung auf Bilder, die unwiderstehlich, verführerisch und hypnotisch sind, weil es ganz ihre eigenen Bilder und Phantasien sind: die Objektivität des absolut Individuellen. Abgewählt wird die subjektive Beliebigkeit und das dazugehörige Rechtfertigungspensum. So entsteht eine schnörkellose bildnerische Direktheit, die die besondere existenzielle Lebendigkeit ihrer Arbeit auszeichnet und die die Wirkung zwischen großartig und gemein, sarkastisch und utopisch herstellt. Zwischen narzisstischem Chic und mythologischem Schleier spielt sie mit der Bandbreite menschlicher Orientierung. Vor allem aber verkörpern ihre Bilder die direkten Erfahrungen, die die Stadt als menschliche Schaltzentrale freisetzt. Es ist der Eindruck eines tranceähnlichen, aber erstarrten Erregungszustands, der den Betrachter ins Bild zieht. Aus einem Malstrom der Verdichtung stieren einen diese Gesichtsmasken durchdringend an, als wäre man wie Tarzan im Urwald ein nicht ganz willkommener Eindringling im Reich der Sinne. Gleichzeitig entwickeln sie eine erotische Präsenz, die einer halluzinatorischen Gefühlskraft gleicht, die mit Utensilien aus dem globalen Weltdorf vom Tamtam der Lippenstifte und Kristalle, Stöckelschuhen und vielem mehr ausgeschmückt wird.
TDie neuen Bilder spielen aber nicht mehr mit extremen Zügen der denkwürdigen Anfänge in den achtziger Jahren mit der No-Future-Endzeitstimmung von freitags Fisch, samstags Fußball und sonntags Familie, als noch eine angedeutete Kastrationsandrohung reichte, um das Fließband der Phantasie in Gang zu setzen. Auch die Kraft der Kunst als Gegenmittel zum Alltag muss sich immer wieder erneuern. Dem Fieber der Revolte sind deshalb Versuche gefolgt, die das erotische Begehren distanzierter an den Oberflächen entlang abtastet, um den Affen Zucker zu geben. Gleichzeitig scheint es so zu sein, als gäbe es das Innere nicht mehr, das einmal ausreichte, um einen ekstatischen Sturm auf das Neue zu entfachen, weil man mittlerweile wieder weiß, dass die Rückkehr zum Naturzustand unter zivilisatorischen Bedingungen heute der Krieg ist. Anderseits scheint eine damit konkurrierende, bisher aber unbekannte, vernachläßigte innere Stärke darauf hinzuweisen, dass man sich einige weltliche Qualen schenken sollte: vor allem den Luxus der großen Gefühle. Jimmy Clanton spricht es in einem alten Pop-Song wie ein Paradox aus "Rot passt nicht zu Blau", das aufblitzt und sofort wieder verschwindet - Scheinemanzipation als Selbstverstümmlung.
Obwohl Elvira Bach mit unbarmherziger Klarheit die Spannungen offen legt, die mit dem Unterfangen einhergehen, die weibliche Gestalt zu sehen oder gar zu malen, kann man nicht ignorieren, dass das Leben einerseits zu kurz ist, um es ständig mit diesen Spannungen zu belasten, anderseits aber schlimmere Ersatzformen bis hin zum Krieg wieder en vogue sind. Kann es sein, dass die Magie ihrer Bilder uns gerade deshalb berührt. Sie geben einen Anstoß, über unsere verwirrte Zeit nachzudenken, ohne die Glut der Erotik zu vergessen.